Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Kleine Harz-Tour mit Freunden 24.02.2019 Hinter mir verläuft die Landstraße 96 mehr als 400 Meter über den Damm der Rappbodetalsperre und vor mir öffnet sich der 219 Meter lange Tunnel, der die Landstraße durch den Nickelberg in Richtung Rübeland, oder wahlweise zum Parkplatz, führt. Meine Knie fühlen sich weich und die Füße lahm an. Mein Körper ist vom Gang über die 458 Meter frei hängende Stahlseilbrücke und auf der Dammkrone zurück schlapp, als wäre ich gerade zehn Kilometer gewandert. Mit beinahe letzter Kraft schaffe ich es zum parkenden Auto und lasse mich in den Beifahrersitz fallen. Hier habe ich Zeit zum Verschnaufen, denn irgendwer mit einem Kennzeichen aus Erfurt hat uns derweil zugeparkt. „Zum Glück“, denn ich brauche diese Viertelstunde dringend! Rückblende: An diesem 12. Januar spüre ich nach dem Aufstehen ein mulmiges Gefühl, erledige aber meine häuslichen Pflichten dennoch. Mittags zwingt mich das Gefühl zu einer Pause, während in mir sich Schmerzen entwickeln. Zur Kaffeezeit sind die kaum noch auszuhalten. Ich bitte einen Nachbarn um Hilfe, eine Stunde später ist mir alles egal. Wir rufen den Notarzt und das Unaufhaltsame nimmt seinen Lauf: Krankenwagen, Notaufnahme, Station und einen Tag später Intensivstation. Als ich nach zwei Wochen wieder entlassen werde, haben mich die Krankheit und der Aufenthalt verändert. Einige Abläufe sind anders, ich habe Gewicht verloren und bin mit völlig neuen Erfahrungen ausgestattet. Es fällt mir noch schwer, lange Strecken zu gehen oder mich körperlich anzustrengen. Vier Wochen nachdem ich die Krankenstation hinter mir gelassen habe, empfange ich lieben Besuch aus Berlin. Wir quasseln stundenlang über Musik, betrachten alte Fotos und wühlen in Tonträgern. So einen Abend habe ich lange vermissen müssen! Am nächsten Vormittag steige ich zu beiden ins Auto und wir fahren über Blankenburg zur Rappbodetalsperre. Es ist Sonntag, schönes Wetter und natürlich ist der Straßenrand voller Menschen, die zur Hängebrücke wollen. Auf dem Parkplatz haben wir noch Glück, ahnen aber nicht, dass wir bald eingekeilt sein werden. Mit den Tickets in der Hand begeben wir uns hoch zum Einstieg in die einzigartige Konstruktion aus Stahlseilen neben der Staumauer. Dort ist für meine Berliner Freunde zunächst staunen und fotografieren angesagt. So einen Blick über die Stauanlage, die beiden Seen sowie die neue Touristenattraktion hat der Großstädter nicht jeden Tag. Deshalb ist an den Wochenenden, zumal bei schönem Wetter, hier oben Chaos angesagt. Zum Glück sind nirgends Schulferien und das erwartete Chaos hält sich Ende Februar in erträglichen Grenzen. Dann begebe ich mich unsicheren Schrittes auf die leicht schwankende Hängekonstruktion. Heute zum zweiten Male, aber diesmal habe ich das Stempelheft dabei. Hoch über dem Abgrund landet heute der Stempel im Wanderheft. Zur Erinnerungen an die gemeinsame Begehung entstehen schöne Fotos mit dem Stahlgeflecht im Hintergrund, doch am anderen Ende bin ich froh, meine wackeligen Füße wieder auf festen Boden setzen zu können. Den Rückweg wählen wir über die Staumauer, weil ich auf diese Weise den Anstieg zurück zum Ausgangspunkt vermeiden kann. Von der Dammkrone aus kann man die außergewöhnliche Brücke bestaunen und erleben, wie sich einige, am Doppelseil hängend, mutig nach unten gleiten lassen. Unter das Staunen mischen sich bei mir gemischte Gefühle, weil natürlich durch all das der wundervolle Ausblick auf die Harzlandschaft beeinträchtigt wird. Viele Besucher, die hierher kommen, haben wohl nur vor, den Kick, statt die reizvolle Landschaft zu erleben. Langfristig, so meine Überzeugung, ist das ein zweifelhaftes Vergnügen und nachhaltig sowieso nicht. Inzwischen sind meine Schritte langsamer geworden, die Knie irgendwie weich und die Beine drohen, mir nicht mehr zu gehorchen. Diese 219 Meter durch den Tunnel kommen mir ekelhaft lang vor, als würde jemand am anderen Ende den Ausgang nach hinten verschieben. Am Auto angekommen, sinkt mein Körper nur noch in den Sitz, um sich zu erholen. Derweil lassen die Berliner den Fahrer ausrufen, der ihr Fahrzeug am Heck zugeparkt hat. Sachen gibt’s aber auch! In dieser Viertelstunde merke ich, wie störanfällig mein Körper noch ist und auch, wie beschissen sich das anfühlt. Wenig später verlassen wir den Parkplatz in Richtung Rübeland, biegen aber kurz vor den Serpentinen zum Ort in den Wald ab. Ich möchte die beiden zu einen meiner Lieblingsaussichtsplätze führen, der von den Touristenströmen noch nicht entdeckt wurde. Irgendwer hat sich an einen einsamen Weg am Wald ein hölzernes Domizil gebaut, mit einer alten Bank davor. Ehe wir weitergehen, entsteht hier ein Foto von zwei knackigen Rockern, die den Harz erkunden. Vom Aussichtspavillon Hoher Keef schweift wenig später unser Blick über den im Tal liegenden Ort und die Bergkuppen, bis hin zum Brocken. Wir haben klare Sicht und können das schneebedeckte Plateau sehr gut erkennen. Wie es der Zufall will, schwebt in diesem Moment der Brockenballon direkt über dem Gipfel. Was für ein wunderschönes und seltenes Fotomotiv! Nur einige Augenblicke später wäre uns dieser Anblick entgangen. Meine Freunde genießen das Panorama sowie den Blick auf die Spielzeughäuser unter uns. Am Tag darauf werde ich lesen, dass dieser Harz-Ballon, samt dem dazugehörigen Fahrzeug, in der Nacht gestohlen wurde. Die Nähe zu den Autobahnen muss nicht immer auch ein Vorteil sein. Die Fahrt durch Rübeland bis zum Blauen See dauert höchstens fünf Minuten. Auf dem Parkplatz sind nur wenige Fahrzeuge. Ende Februar lockt es, trotz des herrlichen Wetters, kaum jemanden zu diesem verborgenen See. Am Rand des Weges entdecken wir die ersten Weidenkätzchen. Ich bin neugierig, wie beide auf das Naturkleinod reagieren werden. Als wir dann davor stehen, bin ich es, der ein wenig enttäuscht ist. Der See ist noch von einer Eisschicht bedeckt. Die Farbe des Wassers darunter kann ich nur erahnen. Wir sind allein hier. Ich genieße das Staunen meiner Freunde, die solche Naturperlen im Berliner Großstadtmoloch natürlich vergeblich suchen. Hier ist die Stille der Natur fast zu greifen, das aufmerksame Auge entdeckt viele interessante Motive und die Hände fassen nach Eisschollen, um sie hinaus auf die Eisfläche zu werfen, wo sie wie Glas zerspringen. Während ich zuschaue, fällt mir der deutsche Text zu einer ungarischen Rock-Melodie ein: „Hier war ich Kind, wo der Brunnen so tief war, tiefer als sonst Brunnen sind.“ (General, 1975). Im Sommer, darin sind sich beide einig, wollen sie wiederkommen und dann unbedingt das Blau (oder Grün) im See bewundern. Der Rückweg hinauf zum Parkplatz fordert meine letzten Kraftreserven. Die Beatles würden jetzt „I’m Down“ singen, ich hingegen pfeife aus dem letzten Loch. Wir sind inzwischen vier Stunden unterwegs und ich am Limit. Aber ich möchte meinen Gästen den schönen Ausblick vom Ziegenkopf, oberhalb von Blankenburg, nicht vorenthalten. Die Gaststätte Ziegenkopf mit der Terrasse und dem Turm liegt quasi direkt an der Strecke. Während beide diese Aussicht über die Stadt bis zum Horizont genießen, bleibe ich im Auto. Noch bin ich weit davon entfernt, wieder fit zu sein. Dennoch hat mir die heutige gemeinsame Zeit mit zwei Freunden gut getan und ich habe es genossen, ihnen einen Teil dessen zu zeigen, was ich allmählich als mein Zuhause begreife. Da ist es egal, wie schlapp der Körper sich noch anfühlt, solange genügend Glückshormone unterwegs sind. Wiederholung und Fortsetzung unbedingt erwünscht und bis dahin will ich auch wieder im Vollbesitz all meiner Kräfte sein. Zwei Altrocker vor ihrem Harz-Bungalow in der Nachmittagssonne.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.